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Insgesamt habe der Freistaat seit der Jahrtausendwende etwa ein Fünftel seiner Wasservorräte verloren, schätzt Gemeindetags-Expertin Juliane Thimet. Trotzdem müssen Firmen und Landwirte mit eigenem Brunnen noch immer nichts für das kostbare Nass zahlen. Da war zum Beispiel die Sache mit der Wasseruhr, die kurioserweise rückwärts lief. An einem Montag zeigte sie 1,8 Millionen Liter weniger Verbrauch an als am vorangegangenen Freitag. Eine gewaltige Menge Wasser müsste also übers Wochenende in den Brunnen zurückgeflossen sein. Mitten im Hitzesommer 2022 und in der damals trockensten Gegend Bayerns, der Bergtheimer Mulde bei Würzburg. Brunnen samt Wasseruhr gehören einem Landwirt, der sich auf ein technisches "Versehen" herausredete; irgendein Regler habe falsch geregelt.
Wasserschützer witterten hingegen Manipulation. Amtliche Prüfer stellten insgesamt etwa 2000 Kubikmeter Differenz zwischen tatsächlicher Entnahme und Anzeige auf der Uhr fest. Später fanden Ermittler bei dem Landwirt eine zweite, rückwärtslaufende Wasseruhr. Die Behörden mussten aber auch einräumen, dass sie nie kontrolliert haben, wie viel Wasser der Landwirt aus dem Brunnen entnimmt und ob er sich an die genehmigten Höchstmengen hält.
So ist es überall im Freistaat. Als würden die Grundwasserstände nicht sinken und die Sorgen um die künftige Wasserversorgung nicht wachsen, holen private und gewerbliche Brunnenbesitzer das Allgemeingut Grundwasser wie eh und je aus dem Boden und nutzen es für geschäftliche Zwecke. Niemand weiß genau, wer wie viel in Bayern entnimmt. "Die Verwaltungsvorschrift Wasser erlaubt einem Brunnenbesitzer die freie Entnahme von bis zu 50 Kubikmetern täglich", sagt Juliane Thimet, Vize-Geschäftsführerin und Wasser-Expertin beim Bayerischen Gemeindetag. "Das halte ich für geradezu skandalös viel, wenn man andererseits der Bevölkerung abverlangt, Zisternen zu bauen, um Regenwasser aufzufangen."
Überhaupt geht Thimet hart mit der bayerischen Wasserpolitik ins Gericht. Sie kritisiert schwere Versäumnisse und fordert Staatsregierung und Landtag zum schnellen Handeln auf. Denn die Hochwasser in diesen Tagen vermitteln ein verzerrtes Bild. Nur ein Teil davon versickert zu Grundwasser. Weil der Boden die Wassermassen auf einen Schlag jedoch nicht verarbeiten kann, fließt das meiste oberirdisch in die Meere ab und ist für die Trinkwasserversorgung verloren. An der nicht von einem Hochwasser mehr oder weniger abhängigen Tendenz ändert sich jedoch nichts: Bayern steuert langsam aber sicher auf einen Wassernotstand zu. Insgesamt habe der Freistaat seit der Jahrtausendwende etwa ein Fünftel seiner Wasservorräte verloren, schätzt Expertin Thimet.
Um diesen Trend zu stoppen, dürfe man "nicht immer nur die Grundwasserstände unter der Erde messen, sondern wir müssen uns viel genauer und kritischer anschauen, wer wie viel Wasser entnimmt", sagt Thimet. Für Großverbraucher wie Mineralwasserhersteller oder andere, die viel Wasser für ihre Geschäfte brauchen, ist der Freistaat ohnehin ein Paradies. Denn er verlangt kein Wasserentnahmeentgelt, vulgo: "Wasserpfennig". Das bedeutet: Firmen oder Landwirte mit eigenem Brunnen zahlen nichts für ihr Wasser.
Bayern ist eines von nur drei Bundesländern, die keinen Wassercent verlangen. Dessen Einführung hatten CSU und FW bereits 2018 in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, doch geschehen ist nichts. Das soll nun bis 2028 nachgeholt werden. Unmittelbar vor der Landtagswahl stellte Umweltminister Thorsten Glauber (FW) ein Strategiekonzept für die künftige Wasserversorgung vor. Demnach sollen trockene Landesteile vor allem im Norden über ein Netz neuer Fernwasserleitungen aus dem Bodensee und teilweise noch nicht existierende Talsperren versorgt werden. Eine Milliarde Euro wird das kosten, mindestens.
Gemeindetags-Expertin Thimet zweifelt an der Wirksamkeit dieser Strategie. "Riesige Fernwasser-Versorgungsleitungen durch das Land zu ziehen mögen ehrenwerte Pläne sein. Das dauert aber alles viel zu lange und kostet immense Summen", sagte sie im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Wir müssen das Thema stabile und zuverlässige Wasserversorgung aber heute dauerhaft lösen und nicht erst in 30 Jahren." Angesichts des "dramatischen Grundwasserverlusts von 20 Prozent seit 2000 ist es unumgänglich, dass wir alle Entnahmen erfassen, auch im landwirtschaftlichen Bereich". Der Freistaat könnte das sofort angehen, sagt Thimet. "Das wäre angesichts der im Augenblick sehr sensibel reagierenden Landwirtschaft ein beherztes Machtwort in Richtung Ressourcenschutz." Die Ausweitung von Wasserschutzgebieten müsse deutlich beschleunigt werden, heißt es beim Gemeindetag
Auch in anderen Bereichen hinke Bayern beim Schutz der Wasservorräte hinterher, so der Gemeindetag. Er fordert unter anderem, dass "im Prinzip jeder, der einen Brunnen bohrt, dafür auch eine wasserrechtliche Erlaubnis einholen muss." Juliane Thimet kritisiert ferner, dass die Ausweitung von Wasserschutzgebieten stockt. "Das ist eine riesige öffentliche Baustelle. Aktuell haben wir 400 offene Verfahren und die ziehen sich bereits zwischen acht und 24 Jahren hin. Das muss deutlich beschleunigt werden." Der Gemeindetag habe "dazu kürzlich konkrete Vorschläge an den Gesetzgeber adressiert". Auch beim Schutz von Bächen, Flüssen, Teichen und Seen sieht die Expertin Handlungsbedarf. "Wir müssen in Bayern endlich einen wirksamen Gewässerschutz hinbekommen. Davon sind wir momentan weit entfernt."
Thimet plädiert auch für einen strengeren Umgang mit Großverbrauchern wie Getränkefirmen, wenn es um die Ausbeutung von teilweise Jahrtausende altem und sehr reinem Tiefengrundwasser geht. "Es kann nicht sein, dass öffentliche Versorger in Zukunft in höheren Grundwasserstöcken aufwändig und teuer Alternativen zu Tiefengrundwasserentnahmen suchen müssen, während Mineralwasserhersteller weiterhin Zugang zu Tiefengrundwasser haben, weil ihre Produkte nach der Mineralwasserverordnung ja besonders sauber sein sollen", sagt Thimet. "Diese Ungleichbehandlung ist maximal störend und geht zu Lasten der Allgemeinheit und zugunsten privatwirtschaftlicher Interessen."
Dass mit dem Gemeindetag ein kommunaler Spitzenverband das Thema Wasser vorantreibt, kommt nicht von ungefähr. Knapp die Hälfte der bundesweit 6000 öffentlichen Versorger hat ihren Sitz in Bayern. Meist sind es Zweckverbände mehrerer Nachbarkommunen oder Stadtwerke. Deren Experten warnen schon länger vor schwindenden Ressourcen und verlangen ein beherzteres Wassermanagement. Doch nicht nur bei der Politik, sondern auch bei Verbrauchern drangen sie bislang nicht wirklich durch. Letztere hätten zudem "die Qualität unseres Trinkwassers aus der Leitung noch nicht erkannt", sagt Juliane Thimet. "Statt es einfach zu trinken, schleppt man lieber teures Mineralwasser nach Hause."
Wie lax Behörden mit dem Thema umgehen, zeigt auch der Fall des Landwirts mit der rückwärtslaufenden Wasseruhr. Das Landratsamt Würzburg verzichtete großzügig auf Sanktionen. Anders die örtliche Staatsanwaltschaft. Sie erhob Anklage wegen "Fälschung technischer Anlagen". Im Zuge der Ermittlungen hatte ein Sachverständiger einen technischen Defekt ausgeschlossen.