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AfD

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Damit es die Nazis nicht bekommen ...

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In einer Altbauwohnung in Marburg trifft sich Mitte November eine Gruppe von jungen Frauen. Auf den Tisch kommen Glühwein und Käsespätzle, Stoffbeutel mit Stapeln von Aufklebern: "Abschieben schützt Frauen" steht auf einem, auf einem anderen: "It's okay to be white" (es ist okay, weiß zu sein), was Rassismus gegen Weiße suggerieren soll. Es gibt auch das Bild eines Südosteuropäers mit einem Spruch in schlechtem Deutsch: "Mach keine Handel mit Alman. Echter Deutscher gibt AfD Stimme."

Die Frauen treffen sich an diesem Tag zur "Aktivistenschulung" von Lukreta, einer Organisation der extrem Rechten, die zum Umfeld der Identitären Bewegung gehört. Mittendrin unter den Aktivistinnen ist an diesem Tag eine junge Frau, die ein paar Wochen zuvor noch niemand hier vermutet hätte.

Sie wurde im Sommer noch auf eine Liste der CDU für eine Kommunalwahl gewählt und galt als Nachwuchstalent in Rheinland-Pfalz. Jetzt ist sie Mitglied der AfD und dort am rechten Rand, wo die "gesichert Rechtsextremen" sich mit immer weniger Scheu zeigen.

Mit Maximilian Krah, dem neuen mächtigen Mann der Partei und Spitzenkandidaten für die Europawahl, saß sie schon auf einem Podium. Ihren bürgerlichen Job hat sie inzwischen verloren. Es ist die Geschichte einer vermeintlichen Blitzradikalisierung.

Dass sie endgültig abdriftet, bringt vielleicht ein Posting auf der Plattform X (vormals Twitter) vom 27. Oktober auf den Punkt. "Ich distanziere mich von allen Distanzierungen", twitterte ReBelle. "ReBelle" ist ihr Pseudonym, sie tritt online schon seit Monaten nicht mehr mit ihrem richtigen Namen auf.

Dieser Name, Isabelle Cofflet, stand bis Mitte November noch im Netz unter cdu-koblenz.de auf der Kandidatenliste für die Wahl zum Rat der rheinland-pfälzischen Stadt im nächsten Jahr. Am 1. Juli erst war sie auf einem CDU-Parteitag gewählt worden, "Motiviert mit Isabelle Cofflet", freute sich in einem Facebook-Posting die Junge Union über die Kandidatinnen und Kandidaten aus ihren Reihen, Cofflet war dort seit Oktober 2022 im Vorstand.

Es entstanden in den ersten Monaten viele Fotos der örtlichen Nachwuchsorganisation mit ihr, und oft steht sie darauf im Mittelpunkt. Als im Februar 2023 die CDU Rheinland-Pfalz den aktuellen Jahrgang ihres Nachwuchsförderprogramms begrüßte, war Cofflet unter den knapp 50 jungen Leuten aus ganz Rheinland-Pfalz, die ins Schulungsprogramm aufgenommen wurden. Sie hat sich selbst beworben.

Was da niemand ahnt, aber ein Eintrag auf Telegram zeigt: Sie ist schon am Jahresanfang 2023 in der Chat-Gruppe des Österreichers Martin Sellner aktiv, der Galionsfigur der Identitären Bewegung und Schnittstelle zu den Strippenziehern der Neuen Rechten um den rechtsextremen Verleger und Aktivisten Götz Kubitschek. Die Identitären werden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und treten heute unter diesem Namen kaum noch auf.

Cofflet legte in ihren ersten Monaten in der CDU viel Engagement an den Tag: Sie fuhr im März mit einer Koblenzer Abordnung zu einer CDU-Regionalkonferenz ins badische Pforzheim, im Mai hielt die Sozialarbeiterin bei einer CDU-Vereinigung einen Vortrag, im Juni war sie mit einem Arbeitskreis auf einem Ortstermin.

Attraktive junge Frauen wie sie sind rar und gesucht bei den Parteien, sie werden gerne präsentiert. Als in Koblenz am 1. Juli die Liste für die Stadtratswahl aufgestellt wird, gibt es gegen Cofflet dennoch auch Vorbehalte. Platz 24 bekommt sie, aussichtslos für ein Mandat.

Sie wäre wohl weiter oben auf die Liste gesetzt worden, sagt der Kreisvorsitzende der Koblenzer CDU, der Bundestagsabgeordnete Josef Oster t-online. Doch da gab es ihre Vorgeschichte.

Denn 2018 hatte Cofflet schon für die Partei Die Linke kandidiert. Deshalb habe es Diskussionen bei Koblenzer Christdemokraten gegeben. Die Kandidatin könnte zu linke Einstellungen haben, befürchtete so mancher.

Oster hatte nie intensiveren Kontakt. Mit dem Wissen von heute sagt er: "Es ist mir eine Lehre, dass ich mir auch die Bewerber für Plätze weiter hinten selbst anschauen muss."

Aber Sorgen in die linke Richtung waren zu jener Zeit wirklich völlig unbegründet.

Die junge Frau vertrat da auch schon selbstbewusst offen rechte Positionen in der Union, als ReBelle auf X, ohne ihren richtigen Namen, Bezüge zur CDU hat sie schon aus dem Profil genommen. Mehrfach legte sie sich mit Ruprecht Polenz an, dem früheren Generalsekretär der CDU. Der 77-Jährige ist im Netz der ständige Mahner, die Partei müsse Abstand zur AfD und deren Methoden und Rhetorik halten.

Für manche im rechten Lager ist Polenz eine Hassfigur, andere stellen ihn als ihren heimlich besten Mann dar: Mit seinen strikten Abgrenzungen und seinem Wohlwollen für Grüne treibe er der AfD enttäuschte CDU-Anhänger zu. Von einem FDP-Rechtsaußen bekam er bei einer Diskussion mit ReBelle zu lesen: "Konservative mögen keine U-Boote in der Partei."

Mit dem U-Boot ist er gemeint, nicht die Koblenzerin, zu der Zeit noch Parteifreundin. Die ReBelle im Netz leitete zu der Zeit offenbar schon eine von ihr gegründete Telegram-Gruppe "für Austausch zwischen Schwarz Blau", plädierte also für eine Kooperation von CDU und AfD.

Und gab zugleich die CDU zunehmend auf. Am 9. September etwa schreibt sie in Richtung Hans-Georg Maaßen, Ex-Verfassungsschutzpräsident und CDU-Mitglied, gegen den wegen seiner extrem rechten Positionen ein Parteiausschlussverfahren läuft: "Parteigründung jetzt. Der Zug mit der CDU ist abgefahren."

Drei Tage später lässt ein Eintrag im Blog von "ReBelleDeutschland" tief blicken: Sie habe sich im Internet sehr viele Videos angeschaut und monatelang recherchiert, "nahezu Tag und Nacht". Haltungen in der Gesellschaft zu Corona seien ihr absurd vorgekommen: "Linke, die das Establishment verteidigen, Rechte, die es kritisieren".

In der Partei Die Linke war Cofflet doch 2018, und das nach ihrer Darstellung aus Auflehnung gegen das Elternhaus, CDU-Milieu. "Mir war damals eigentlich egal, welche Partei das ist, mit der ich sympathisiere, Hauptsache, sie war gegen das Establishment."

Heute „rebelliert“ sie von rechts.

Sie meint auch in einem Beitrag, der Bereich des Sagbaren habe sich "ganz weit nach links" verschoben, während Friedrich Merz 2023 vorgeworfen wird, in manchen Aussagen zu klingen wie die AfD vor ein paar Jahren.

Für die rechte Szene ist es ein gängiges Narrativ: Man suggeriert, dass die Meinungsfreiheit bedroht sei, wenn man für das Gesagte kritisiert wird – dabei ist auch die Kritik an einer Meinung von der Meinungsfreiheit gedeckt, sagt Josef Holnburger, Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Das ist besonders paradox, wenn von Unions-Politikern behauptet wird, nichts mehr sagen zu dürfen; und das dann in sämtlichen Medien abgedruckt wird." Das stärke dann das Narrativ der AfD-Politiker einer vermeintlich nicht vorhandenen Meinungsfreiheit.

Tatsächlich erlebt ReBelle auf X auch Widerspruch und die Wirkung von Provokationen. Sie zieht dort in den Kulturkampf gegen Gender und Transgender. "Nur Zwei" postet sie am 13. September plakativ, es gibt nur die beiden Geschlechter Mann und Frau.

Das zu betonen, ist ein großes Anliegen mancher Frauenrechtlerinnen, die mühsam erstrittene Errungenschaften durch trans Frauen in Männerkörpern bedroht sehen. Es sei aber auch ein Mittel, wie die rechte Szene erfolgreich Unmut, Unverständnis und Verunsicherung in der Bevölkerung befördere und damit fische, sagt Josef Holnburger: "Da wird ein 'Culture War', ein Kampf gegen eine angebliche Verschwörung der politischen Linken oder manchmal sogar als 'Kulturmarxisten' bezeichneten global agierenden Gruppe heraufbeschworen – klassische Elemente einer Verschwörungsideologie, aufgeladen mit Begriffen der extremen Rechten."

Wie das funktioniert, zeigt ReBelles Acoount, als das Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag diskutiert wird. Das Gesetz vereinfacht es, unbürokratisch den Geschlechtseintrag und den Vornamen im Personenstandsregister zu ändern. Sie nennt es die "Zerstörung des Kerns dessen, was eine funktionierende Gesellschaft ausmacht". Es sei "keine Verschwörungstheorie, dass sie Geschlecht komplett abschaffen wollen, um eine steuerbare Masse zu generieren". Behauptungen wie diese, die Gesellschaft und das Deutsche sollten aus ideologischen Gründen zerstört werden, sind weit verbreitet bei den Identitären.

Holnburger warnt vor Folgen, wenn auch aus CDU und CSU der Eindruck erweckt werde, es gebe einen solchen Kulturkampf. "Wenn Themen wie Gendern oder Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels als vermeintliche Ideologie aufgeladen werden, statt sie politisch zu verhandeln, droht eine Polarisierung und möglicherweise Radikalisierung, wie wir sie derzeit auch in den USA erleben." Nutze man die Narrative der extremen Rechten, stärke das Feindbilder, es könne wie bei ReBelle auch zu Radikalisierung führen und Hürden und Hemmungen in diese Richtung abbauen, so Holnburger.

ReBelle hat in den vergangenen Monaten manche Hürden genommen: Sie habe es sich lange nicht eingestehen wollen, schrieb sie in einem inzwischen gelöschten Beitrag: Aber "besonders die Frauengruppen der Identitären" hätten ihr schon länger gefallen.

In der AfD gilt formal ein Unvereinbarkeitsbeschluss für die Identitäre Bewegung. In der AfD-Praxis schert das aber kaum jemanden: Der aus Köln stammende Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp fördert seit Jahren identitäre Projekte. Bei ihm konnten exklusiv einige der Aufkleber bestellt werden, die bei der Aktivistenschulung der Frauen in Marburg bereitlagen.

Ein paar Kilometer von Köln rheinaufwärts ließ Joachim Paul, Landtagsabgeordneter und Mitglied im Bundesvorstand der AfD, am 6. Juli den Ober-Identitären Martin Sellner als Gastredner auftreten. Burschenschaftler Paul ist Kreisvorsitzender der AfD Koblenz. Dort ist Cofflet seit Anfang Oktober Mitglied.

Ihre Parteizugehörigkeit bestätigte sie in einem Telegram-Chat, der t-online vorliegt. Bekannt werden sollte das nicht. "Ich habe mit meinem Verband besprochen, das bewusst nicht so zu kommunizieren, damit ich nicht wie ein Parteisoldat wirke."

Am 26. September hatte sie auf X geschrieben: "Wenn man merkt, dass man zu konservativ, zu rechts, wie auch immer für die CDU ist, sollte man gehen und nicht frustriert warten, obwohl sich nichts ändert." Die CDU hatte sie da schon verlassen.

Ihr früherer Kreisvorsitzender Josef Oster erklärt auf Anfrage, ihre Postings auf X seien der Partei "natürlich nicht verborgen geblieben". Bereits im Spätsommer sei ihr in einem Gespräch deutlich gemacht worden, dass ihr Auftreten mit der CDU nicht vereinbar sei. Bei den letzten Treffen des CDU-Nachwuchsförderprogramms, wo junge Politikhoffnungen theoretisches Rüstzeug und Schulungen in Rhetorik und Social Media erhalten sollen, erschien sie nicht mehr. Wenn er ihre Entwicklung sehe, fehle ihm "die Fantasie, wie man sich innerhalb weniger Wochen so radikalisieren kann".

Die Frau habe bei dem Gespräch aus freien Stücken ihren Austritt erklärt, sagt Oster: "Das lief sehr einvernehmlich." Cofflet bestätigt das t-online: "Ich hege keinen Groll. Ich habe einfach nach kurzer Zeit gemerkt, dass es nicht passt."

In der neuen Partei passt es offenbar erst einmal und sie bekommt schnell Zugänge. Am 4. November war in Siegburg, dem Wahlkreis von Beckamp, ein "Frauenkongress" des EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, und der rechtspopulistischen ID-Fraktion im Europaparlament, zu der die AfD gehört. Schwerpunktthema: "Gendermainstreaming und Transideologie". Auf einem Podium: ReBelle mit Maximilian Krah.

"Wir diskutierten über Präventionsmaßnahmen gegen Frühsexualisierung und Transwahn bei Jugendlichen", steht in einem Posting der Frauenorganisation Lukreta mit Fotos von ihr. Lukretas bekanntestes Gesicht ist Reinhild Boßdorf. Deren Mutter Irmhild steht auf der AfD-Europaliste ein paar Plätze hinter Krah und saß auch mit auf dem Podium.

Reinhild Boßdorf und ReBelle sahen sich dann spätestens zwei Wochen später wieder: Am 18. und 19. November war die Aktivistenschulung in Marburg.

ReBelle wirft längst mit Begriffen wie "Remigration" um sich, lobt eine Gruppe mit Neonazis auf einem Gebäudedach in Sachsen als "mutige Männer", weil sie sie für Identitäre hält. Sie betont weiter, dass Protest friedlich sein soll, hat aber längst auch anfängliche Mitstreiter verschreckt. "Jetzt driftest Du völlig ab", schrieb Ende Oktober Anabel Schunke (34), Kolumnistin bei der Schweizer "Weltwoche" und dem rechtspopulistischen Portal "Nius" um Julian Reichelt.

Schunke hatte Influencerin Cofflet nach dem CDU-Ausstieg auf Twitter mit offenen Armen aufgenommen. Und jetzt? "Du bist nur noch hier, um dir Applaus von rechten Incels abzuholen", schrieb Schunke.

Incel ist eine Bezeichnung für junge Single-Männer mit trostlosem Sexleben, die Frauen verachten.

In Teilen der Szene wird die "Influencerin ReBelle" dagegen verharmlost: "AfD-nah" sei sie, sie bezeichne sich selbst als "politisch rechtskonservativ", steht in einem Artikel. Er ist in einem Magazin aus dem Umfeld der Identitären Szene erschienen, das Magazin wird von Joachim Paul gefördert. Es geht in dem Beitrag um das Thema Cancel-Culture.

Denn Cofflet hat nun auch ihren Job verloren. Sie arbeitete als Sozialarbeiterin mit Opfern, die oft ebenso wie die Täter einen Migrationshintergrund haben.

Seit dem 1. Dezember ist dort offenbar Schluss für sie: "Man hat mir aufgrund meiner politischen Meinung gekündigt", schrieb sie und korrigierte sich dann. Die Kündigung sei ihr nur angekündigt worden. Neben ausgedruckten X-Nachrichten, die sie geschrieben hatte, sei ihr ein Auflösungsvertrag vorgelegt worden. Sie habe ihn unterschrieben. Aber "keine Abfindung, gar nichts" bekommen.

Schnell meldete sich bei ihr der rechtsextreme Verein EinProzent, der in der Szene auch Gegenwind bekam für die finanzielle Unterstützung des AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba (monatliche Diäten: 9.215 Euro, dazu 3.984 Euro Kostenpauschale). Aufrufe zu Hilfe für ReBelle gibt es bisher nicht, sie will aber auch offenbar keine Spenden.

X-Nutzer haben sie schon auf eine Alternative hingewiesen: US-Milliardär Elon Musk. Seit er X vor einem Jahr gekauft hat, hat Musk dort die Accounts zuvor gesperrter Antisemiten und Neonazis wieder freischalten lassen, er hat die AfD beworben. Er will die Plattform zum "Hort der ungezügelten Meinungsfreiheit" machen und versprach in einem Tweet: Für alle, die wegen eines Postings auf X vom Arbeitgeber "unfair" behandelt würden, werde er die Anwaltskosten übernehmen.

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[–] MaxPower@feddit.de 3 points 11 months ago

Danke dafür. Ich bin ehrlich gesagt positiv überrascht über die journalistische Qualität von T-Online.